Die Oase Figuig

Vier Tage sind wir jetzt hier in der Oase Figuig. Erste Bilder habe ich gleich am zweiten Tag gepostet. Dass Figuig eine eigene Galerie braucht, war da bereits klar. Nur an einen Text habe ich mich bisher noch nicht herangetraut, aber jetzt ist es Zeit dafür.
Wir haben einen ganz schönen Platz im Garten des bisher noch einzigen Hotels in der Oase gefunden. Das Hotel stammt noch aus der Kolonialzeit und liegt am Rande des „modernen“ Figuig, direkt an einer Abbruchkante. Von hier hat man einen herrlichen Blick über die Oasengärten bis zu den Bergen, die die Grenze zu Algerien bilden. Figuig ist eigentlich kein Ort, sondern eher ein Bezirk und besteht aus vielen alten sogenannten Ksour, zwischen denen, entlang der Straße, ein modernerer Verwaltungsort entstanden ist.
Auf den ersten Blick wirkt es wie ein beliebiger marokkanische Wüstenort.
Das Besondere der Oase erschließt sich erst, wenn man durch die Oasengärten streift oder in das Gewirr der verwinkelten dunklen Gassen eines alten Ksar eintaucht.
Schmale Trampelpfade führen von der Stadt hinunter in die tiefer liegende palmenbestandene Ebene. Bereits beim Abstieg wird einem klar, dass die Verteilung des Wassers seit Jahrhunderten den Erfindungsgeist der Menschen herausgefordert hat. Überall an der Abbruchkante taucht das Wasser in Form kleiner Wasserfälle auf, die sich in schmale Rinnen ergießen und entlang der Pfade hinunter in die Gärten fließen. Es gibt Unmengen dieser Wasserrinnen, teilweise mehrere nebeneinander, die dann plötzlich in ein kompliziertes Durcheinander von Abzweigungen und Über- und Unterführungen münden. Jedesmal, wenn wir vorbeikommen, führt eine andere Rinne gerade Wasser. Weiter unten gibt es riesige gemauerte Becken, in denen das,zu bestimmten Zeit nicht benötigte Wasser gesammelt wird. Von den Becken gehen wiederum Kanäle weiter hinunter in die Gärten. Wer hier Wasser abzapfen will, muss zuerst sicherstellen, dass das Kanalsystem durch Verschließen und Öffnen von Abzweigungen so eingerichtet ist, dass das Wasser auch den gewünschten Weg nimmt und nicht in einem Nachbargarten landet. Anschließend wird am Becken mit einer langen Stange der Wasserstand bestimmt und auf der Stange mit einem Bleistift markiert. Dann wird der Ablauf des Beckens so lange wie gewünscht geöffnet. Ist der Garten gewässert, läuft die gleiche Prozedur umgekehrt, der Wasserstand wird gemessen, markiert und mit einem, an der Stange befestigten Eichmaß wird die Menge des entnommenen Wassers bestimmt. Ehrlichkeit ist hier eine Grundvoraussetzung, um das Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.

Als Ksar قصر, im Plural Ksour قصور, bezeichnet man die alten, aus Lehm erbauten Wohnquartiere. Sie bestehen aus einem engen Gewirr von 1-2 geschossigen Gebäuden, die dicht aneinander gebaut wurden. Dazwischen verläuft ein Irrgarten von Wegen, so schmal, das man meist mit ausgestreckten Armen rechts und links die Häuserwände berühren kann. Selbst mit GPS kann man sich hier leicht verlaufen, denn die Wege sind zum großen Teil überbaut, und nur ab und zu bekommt man ein kleines Stück Himmel zu sehen.
Erstaunt hat uns die Offenheit und Herzlichkeit der Menschen hier. Besonders diejenigen, die noch in den alten Ksour leben, sind stolz darauf. Mehrmals haben wir es erlebt, dass man uns erlaubte, einen Blick hinter eine der vielen Türen zu werfen. Ein Mann, der dabei war, die alte Behausung seiner Familie zu renovieren, zeigte uns seine Baustelle und erzählte von den Schwierigkeiten, hier zu bauen. Alles muss von Hand oder per Schubkarre herangeschafft werden. Schwere Maschinen können nicht eingesetzt werden. Seine Familie lebt inzwischen in einem neuen Haus außerhalb des Ksar, aber er will das Haus, in dem er aufgewachsen ist, nicht, wie viele andere, dem Verfall preisgeben. Außerdem sei das Klima hier viel angenehmer. Im Sommer, wenn das Thermometer deutlich über 40Grad steigt, treffen sich die Frauen des Ksar im Dämmerlicht des überdachten Weges vor seinem Haus zum Handarbeiten, so erzählt er. Hier sei es angenehm kühl, und immer geht ein leichter Wind.
Bei einem Rundgang treffen wir nahe der Hauptstrasse Mohammed Slimani, der sich seinen Lebenunterhalt damit verdient, Besuchern die versteckten Besonderheiten der Oase zu zeigen. Er lädt uns gleich zu sich nach Hause zu einem Tee ein. Es bleibt nicht beim Tee, denn seine Mutter hat, während wir Tee trinken und reden, gekocht und uns kurzerhand mit eingeplant. Energisch macht sie uns klar, dass wir jetzt auch zum Essen bleiben müssen. So sitzen wir kurze Zeit später mit Mohammed, seinem Vater und seiner Mutter auf Kissen um den niedrigen Tisch herum, tunken selbstgebackenes Brot in die große Schüssel mit Gemüse und Hühnchen in einer leckeren Soße und fischen mit den Fingern Gemüsestücke heraus. Das Fleisch bleibt bis zuletzt in der Schüssel. Dann nimmt die Frau des Hauses es heraus, zerteilt es mit den Fingern und legt jedem, den ihm zustehenden Anteil in seine Ecke der Schüssel. Selten haben wir eine so leckere Hühnchen-Tajine gegessen.
Am nächsten Tag ziehen wir mit Mohammed durch die Oase. Er kennt hier offenbar jeden, denn ständig wiederholt sich das arabische Begrüßungsritual des verbalen Pingpong in unglaublicher Geschwindigkeit. Wir werden vielen Menschen vorgestellt und immer wieder in kleine Gespräche verwickelt. So ist man auf einmal nicht mehr der außenstehende Fremde, sondern bekommt einen direkten Eindruck von dem Beziehungsnetzwerk, dass das Sozialleben in einer solchen Gemeinschaft prägt.
Merlin ist natürlich immer wieder der Star und kann sich kaum retten vor den ständigen Fotosessions.Aber auch Carola mußte, als Marokkanerin gekleidet vor die Linse. Am Abend zog ich noch einmal alleine mit Mohammed los. Carola und Merlin blieben geschafft am Hotel. Ich wollte unbedingt noch die unterirdischen Bäder sehen und anschließend ein paar Musiker treffen, die wissen wollten, was eine Drehleier ist. Auf dem Weg lud Mohammed mich auf einen Tee in eines der kleinen Lokale an der Straße ein. Hier war gerade Hochbetrieb, denn der Wirt hatte einen großen Kessel mit heißem Öl auf dem Feuer und versorgte die Wartenden kontinuierlich mit leckeren Pfannkuchenringen und Grüntee mit Minze. Offenbar ein Insidertreffpunkt und sehr lecker. Aber ohne Mohammed wäre ich nie auf die Idee gekommen, das enge, verräucherte Lokal zu betreten.

Anschließend ging es zum Treffpunkt einer Organisation, die sich um die lokalen kulturellen Veranstaltungen kümmert. Hier trifft man sich abends zum lernen, basteln und musizieren. Gitarren und ein Keyboard waren vorhanden, aber alle waren völlig fasziniert von meiner Drehleier und wollten damit fotografiert werden, oder mal ein paar Töne spielen. Wenn es nach den marokkanischen Musikern gegangen wäre, hätten wir hier die halbe Nacht Session spielen können. Ich konnte aber Carola und Merlin nicht länger alleine lassen, zumal es anfing, etwas zu regnen, und ich hatte ja das Auto mitgenommen. Mit dem Versprechen nächstes Jahr wiederzukommen, ließen sie mich dann gehen.

Morgen werden wir Figuig verlassen. Die kleine Oase Iche, direkt an der algerischen Grenze, etwa 50km weiter nordöstlich, steht noch auf unserem Reiseplan.
Hier gibt es zwar noch vieles zu sehen, aber wir wollen uns ja noch etwas für unseren nächsten Besuch in Figuig aufheben, denn dass wir noch einmal hierher kommen, ist bereits beschlossene Sache!

2 Gedanken zu „Die Oase Figuig

  1. Hallo ihr drei,

    Das ist ja ein Geschenk, wenn man die Gastfreundschaft in einer Oase so erleben darf. Und man sieht wieder bei eurem Bericht, dass Musik verbindet. Ebenso wie gemeinsames Essen. Die Fotos der alten Gebäude sind so interessant, ebenso die vom Bewässerungsystem. Und bei all diesen Eindrücken sitzeich gemütlich auf meinem Sofa und freue mich, wenn ich euch auf den Fotos sehe.
    Jetzt wird mir wieder bewußt, warum euch das Reisefieber immer wieder packt.
    Alles Gute für die Weiterfahrt wünscht
    Ingrid.

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