222km in nordwestlicher Richtung liegen hinter uns, als wir am nächsten Abend in 1300m Höhe auf dem weiten ‚Plateau du Rekkam‘ die Strasse verlassen, um abseits einen ruhigen Übernachtungsplatz zu finden. Soweit das Auge reicht nur Sand und Steine. Am Horizont vielleicht ein paar Hütten oder Zelte. Eigentlich ganz ähnlich wie der Platz, an dem wir am Morgen nach unserem nächtlichen Umzug aufgewacht waren. Die ersten 120km waren uns ja bereits vom Hinweg bekannt. Allerdings hatten wir dieses Mal das Glück, dass uns mehrfach Dornschwanzagamen über den Weg liefen. Offenbar hatten sie sich in der Morgensonne auf der Strasse aufgewärmt, huschten aber schnell davon, wenn wir uns näherten. Mehrfach hielten wir an, um eine fotografieren zu können, aber immer waren sie spurlos verschwunden, bis ich mit der Kamera bereit war. Beim 3. Versuch hatte ich etwas mehr Glück. Eine Dornschwanzagame hatte sich in der Größe ihres Unterschlupfs verschätzt, sodaß der Schwanz und eine Kralle noch herausschauten. Immerhin können diese Echsen bis zu 45cm lang werden.Im recht trostlosen Tendrara versorgten wir uns mit Diesel, Gemüse und Brot. Eigentlich wollten wir uns noch einen Kaffee gönnen, aber Kaffee gab es nicht. So mußten wir uns mit einem Tee begnügen, bevor wir die bekannte Strasse verließen und hinauf auf das menschenleere Plateau du Rekkam fuhren. Damit uns auf der Fahrt durch die Ödnis nicht langweilig wurde, unterhielt uns das Wetter mit dramatischen Wolken, heftigen Regenfällen und sogar Hagel. Das Thermometer hielt mit und stürzte wieder auf einstellige Werte. Weiter im Westen klarte es dann wieder etwas auf. Hier war der Boden trocken, Grundvoraussetzung um die Strasse zu verlassen, ohne im zu Schlamm gewordenen Wüstenboden stecken zu bleiben. Eine, der normalerweise trockenen Furten, die wir passieren mußten, hätte uns fast zum Problem werden können, denn wider Erwarten tauchten wir mit einer kräftigen Bugwelle ziemlich tief ein, als wir vorsichtig hindurchfahren wollten. Glücklicherweise gab es im Wasser keine unerwarteten Hindernisse und auch der Motor blieb nicht stehen, sodaß wir heil auf der anderen Seite ankamen. Etwas weiter fanden wir dann eine Möglichkeit, auf eine Piste abzubiegen um den bereits erwähnten Übernachtungsplatz anzusteuern.
Wir hatten uns gerade häuslich eingerichtet und waren am Kochen, als aus dem Nichts ein älterer Mann auftauchte und uns freundlich ansprach. Leider konnten wir uns überhaupt nicht verständigen und so blieb ungeklärt, was er gewollt hatte, als er wieder in der Abenddämmerung verschwand. Etwa 1 Stunde später bekamen wir im Dunklen wieder Besuch, diesmal von einem jüngeren Mann, der etwas Französisch konnte. Schnell klärte sich, dass er der Sohn des ersten Besuchers war und im Auftrag seiner Eltern gekommen war, um uns für die Nacht zu seiner Familie einzuladen, die gut 1km weiter im Nichts wohnte. Wir lehnten dankend ab. Im Dunklen auf unbekannter Piste weiter weg von der Strasse zu fahren, war viel zu riskant, und eigentlich wollten wir auch nur noch unsere Ruhe haben. Er blieb aber hartnäckig und ließ sich nicht abweisen. Erst als wir ihm fest versprachen, seine Familie am Morgen zu besuchen, bevor wir weiter fahren, verabschiedete er sich.
Das Wetter reizte nicht zum frühen Aufstehen, und als wir gegen 9 Uhr aus dem Auto krochen, stand Abdelgani bereits bereit, um uns zu seinem Haus zu führen. In seinen langen Wollmantel mit Kapuze gehüllt, wartete er in höflichem Abstand. Merlin war begeistert von dem Morgenspaziergang, insbesondere, da er bereits in der Ferne die Hunde der Familie bellen hörte.
Ein einfaches kleines Steinhaus, ein Nomadenzelt und ein aus Feldsteinen und Dornengestrüpp gebauter Pferch für die Schafe und Ziegen bildeten das Reich der Familie. Hinter dem Haus stand noch ein uralter LKW, den Abdelgani mir stolz zeigte. Seine Mutter erwartete uns bereits am Hauseingang und geleitete uns ins Innere des Hauses. Dort begrüßte uns auch sein Vater, den wir ja schon am Vorabend kennengelernt hatten.
Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man von wildfremden Mensch behandelt wird, als wäre man ein lang erwarteter Ehrengast des Hauses, dem man sich nur von seiner besten Seite zeigen will. Die besten Teegläser wurden hervorgeholt, als wir auf den uns zugewiesenen Kissen Platz genommen hatten. Zum Tee wurden Erdnüsse und Mandeln gereicht. Der Fernseher in der Ecke und die zwei Glühbirnen an der Wand waren gleich bei unserem Eintritt eingeschaltet worden und die Fernbedienung, gegen den Staub in eine Plastikfolie eingepackt, wurde vor uns auf dem niedrigen Tisch platziert. Das Waschzeremoniell, bei dem den Gästen aus einer Kanne warmes Wasser über einer Schüssel auf die Hände gegossen wird, kannten wir bereits von unserem Besuch bei Mohammed in Figuig. Kurze Zeit später tauchte die Mutter mit einem großen frischen Fladenbrot und einer Schale mit Ziegenbutter und Honig auf. Als wir zögerten, uns zu bedienen, schnitt der Sohn des Hauses Stücke vom Brot ab, füllte sie dick mit der Ziegenbutter und mit etwas von dem Honig und reichte sie uns.
Das Brot und der Honig waren lecker, die viele Ziegenbutter doch etwas gewöhnungsbedürftig. Das ging so weiter, bis wir energisch zeigten, dass wir wirklich satt waren und es für uns auch Zeit war, aufzubrechen, um unsere Reise fortzusetzen. Das wiederum löste bei der ganzen Familie heftigen Widerspruch aus. Wir müßten unbedingt zum Essen bleiben, dass wir eigentlich doch gerade hinter uns gebracht hatten. Mit Gesten und Geräuschen machte die Mutter uns deutlich, dass geplant war, ein Schaf zu schlachten und uns zu servieren. Glücklicherweise gelang es uns, dem Schaf dieses Schicksal zu ersparen und der Familie klar zu machen, dass wir unbedingt heute noch weiterfahren müssten. Milch und Datteln zum Abschied konnten wir aber nicht ablehnen, bevor wir aufbrachen. Selten wurden wir so herzlich verabschiedet. Carola wurde von der Mutter mehrfach gedrückt und geküßt, und selbst mich verabschiedete sie wie einen Sohn mit Kuß auf die Stirn. Ob sie sich wohl bewußt war, dass wir wahrscheinlich älter waren als sie? Als Gastgeschenk bekamen sie von uns einen Verbandskasten und ein paar Apfelsinen. Carola band der Mutter beim Abschied kurzerhand noch ihr Halstuch um, dann zogen wir zurück zum Auto, das von hier aus in der Ferne überhaupt nicht zu sehen war. Offenbar war der Vater am Abend zuvor wirklich zufällig auf uns aufmerksam geworden.
Abstecher zur Grotte Ifri n’Ammar
Eigentlich wollten wir nur mal kurz von der Strasse weg. Merlin brauchte mal wieder etwas Bewegung, und wir freuten uns auf einen Kaffee. Ein großes Schild an einer abzweigenden Schotterpiste wies auf eine 8km entfernte archäologische Fundstätte in einer Grotte hin, gute Gelegenheit für einen Stop, möglicherweise sogar mit Bildungsprogramm. 20min später standen wir kaum 5 km weiter auf einem Berggrad und stellten fest, dass sich die Kaffeepause wohl noch etwas verzögern würde, denn der Abstecher entpuppte sich langsam zu einer Herausforderung für Fahrzeug und Fahrer. Die Piste sah aus, als wäre hier irgendwann mal eine Planierraupe durch die Berge gefahren und hätte eine 2m breite Furche durch die Landschaft gezogen, keine Möglichkeit anzuhalten oder gar zu wenden.Also konnten wir nur weiterfahren. Dann sahen wir auf einem Geröllhang unterhalb einer Felswand, etwas abseits der Piste, die große Grotte und davor ein Zelt und eine schon etwas verblichene große Schautafel, die darauf hinwies, dass hier seit mehr als 20 Jahren in Kooperation mit der Deutschen Archäologischen Gesellschaft geforscht wird.
Als wir anhielten und ausstiegen, tauchten aus dem Zelt mehrere Männer auf, die von Merlin sogleich freudig begrüßt wurden. Als sie merkten, dass er friedlich ist, tauten sie schnell auf, und Merlin musste mal wieder zum Fotoshooting herhalten. Die Grotte war vollständig mit einem schweren Eisengitter versperrt und ist eigentlich nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, wovon auf dem Schild an der Hauptstrasse allerdings nichts zu lesen war. Extra für uns wurden jetzt aber massive Vorhängeschloss geöffnet, und wir durften die Grotte betreten, aber auf keinen Fall fotografieren! Viel war für den archäologischen Laien auch nicht zu sehen. Etwa 6m tief hatte man sich in den Geröllboden der Grotte gegraben und wohl mehrere 15000 Jahre alte Gräber und Felsmalereien entdeckt, aber auch Werkzeuge, die auf eine Besiedlung bereits vor mehr als 50000 Jahren hindeuten. Soviel zum Kulturteil.
Zurück am Auto stellten wir beim Sichten der Satellitenbilder von Google fest, dass wir schneller wieder auf befestigte Strassen stoßen würden, wenn wir der Piste einfach weiter folgten, anstatt umzukehren. Außerdem gefiel es uns hier, und eigentlich waren wir heute bereits genug gefahren. Also fuhren wir nur noch ein Stück weiter, um unsere Ruhe zu haben und einen geeigneten Platz abseits der Piste zu finden, wo wir den Durchgangsverkehr nicht blockierten, auch wenn hier nicht viel Verkehr zu erwarten war. Vor einer ziemlich steilen Furt fanden wir einen geeigneten Platz und verschoben das Problem, ob wir da überhaupt durchkommen, auf den nächsten Morgen. Beim Aussteigen empfing uns ein vertrauter Geruch, denn soweit man schaute, war der Boden bedeckt mit wildem Rucola! Nach einer ruhigen Nacht, gutem Frühstück und einem ausgiebigen Morgenspaziergang machten wir uns an die Durchquerung des zum Glück trockenen Flussbetts. Ein paar Ausbesserungsarbeiten der Piste waren nötig, dann klappte die Durchquerung problemlos, nur um uns ein paar 100m weiter auf das nächste Hinderniss treffen zu lassen. Dieses Mal mußte eine Kiesbank im Flussbett nachgearbeitet werden, damit wir unbeschädigt hinüberkamen. Auf diese Weise kann man einen halben Tag damit verbringen, 8 km voran zu kommen. Aber schließlich war es geschafft, und wir rollten wieder über glatten Alphalt. Der Rest unserer geplanten Etappe ans Mittelmeer sollte eigentlich kein Problem mehr sein, denn sie ging bis auf die letzten paar Kilometer nur noch entlang der Nationalstrasse 2. Die wird allerdings gerade auf einem Serpentinenabschnitt durch die Berge völlig erneuert, und so wurden wir immer wieder auf provisorischen, zum Teil abenteuerlichen Pisten um irgendwelche Brückenbaustellen herum geleitet. Endlich an unserem Ziel oberhalb eines kleinen Fischerhafens angekommen, wurden wir dann aber mit einem herrlichen Ausblick belohnt.