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Über den Hohen Atlas

Als nächste Etappe hatten wir uns eine relativ selten gefahrene Passstrasse über den Hohen Atlas ausgesucht. Die Regionalstrasse R307 ist theoretisch durchgehend asphaltiert, wohl deshalb, weil sie den Zugang zu einer wichtigen Stromtrasse von den großen Solarkraftwerken bei Ouarzazate über den Hohen Atlas Richtung Mèknes und Fes sicherstellt. In der Praxis sieht das anders aus, da die Straße nach jedem Regen oder Schneefall durch Bergrutsche stark beschädigt wird und ständig ausgebessert werden muss. Manchmal ist sie für Tage nicht befahrbar. Da wir nicht wussten, wo wir uns über den aktuellen Straßenzustand informieren könnten, fuhren wir einfach drauflos und suchten uns am Nachmittag einen Stellplatz mit Überblick über die Straße, nachdem wir die ersten Ausläufer der Berge erklommen hatten. Hier konnten wir sicher sein, dass jedes Auto, das uns entgegen kam, nur über diese Straße gekommen sein konnte. Viele waren es nicht im Verlauf des Nachmittags. Dafür bekamen wir Gesellschaft von einem Paar aus Süddeutschland, das sich dieselbe Strecke ausgesucht hatten. Die beiden kamen direkt aus dem Drâatal und waren, ähnlich wie wir, auf der Flucht vor dem Wetter. Die Luft hatte sich bereits am Vortag mit Staub angereichert, sodass von der Sonne kaum noch etwas zu sehen war. Hier, ein paar hundert Meter über den staubigen Hügeln des Dadestals, war die Luft etwas klarer, aber die Ebene unter uns, ebenso wie die Berge vor uns, waren im Dunst verschwunden. Einen Hirten, der mit seinen Ziegen und Schafen über die Berge zu uns kam, konnten wir mit einem unserer letzten Verbandskästen glücklich machen, ansonsten hatten wir den Platz für uns.Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg, die ersten Pässe zu überqueren.Insgesamt 6 Pässe hatten wir vor uns, davon 3 mit Höhen über 2000m. Nachdem wir gegen Mittag den ersten Zweitausender bewältigt hatten, wurde die Landschaft etwas grüner. Immer wieder wunderten wir uns, wenn wir in einem der steilen Täler ein Dorf und ein paar kleine Felder entdeckten. An einem niedrigen Steinhaus an der Strasse war ein Schild ‚Gite d’Etape‘ aufgemalt. Davor stand ein Plastiktisch mit 2 Stühlen. Hier hielten wir an, tranken einen Tee und durften uns mit dem stolzen Besitzer seine neuen Gästequartiere anschauen. Direkt neben der Teestube ging ein schmaler Pfad den Hang hinunter und man stand kurz darauf unterhalb der Strasse vor einem neu in den Hang hineingebauten, gemütlichen Gästehaus. Von außen nur ein lehmverputztes Haus mit einen Flachdach aus Lehm und Steinen, war es von innen mit allem ausgestattet, was man braucht. Nur die Gäste fehlten noch.Als wir ein paar Kilometer weiter an einer Gabelung der Strasse neben ein paar Häusern hielten, kam ich mit einem Mann ins Gespräch, der uns den Tipp gab, die hier abzweigende Strasse 12km bis zu ihrem Ende zu fahren. Dort solle der schönste Ort der ganzen Region liegen. Wir ließen uns darauf ein und haben es nicht bereut. Schon der Weg dorthin, immer an der Felswand eines engen Tals entlang, hat den Abstecher gelohnt. Mehrere kleine Orte mussten durchquert werden. Zweimal waren an der schmalen Strasse entlang Stände und winzige Unterstände aufgebaut, als würde hier gelegentlich ein Markt abgehalten. Magdaz selbst ist ein großer Ort, der sich einen steilen Hang hinaufzieht. Alle Gebäude wirken, als wären sie ohne Mörtel aus Natursteinen gefügt. Dabei sind sie bis zu 6 Etagen hoch. Dazwischen Türme, die zur Spitze hin immer schmaler werden, und oben rundherum auskragende Erker aufweisen. Die Strasse endet unterhalb des Ortes an einer steilen Treppe, die um den Berg herum in den Ort führt, sodaß sich das Ortsbild erst erschließt, wenn man die Treppe ein Stück hinaufgeklettert ist.
Es bleibt zu hoffen, dass nicht durch die Strasse jetzt auch hier der allgegenwärtige Beton Einzug hält.

Als wir staunend durch die Gassen kraxelten, winkte uns von einer Art Balkon im 4. Stockwerk eines Hauses hoch über uns am Hang ein Mann zu sich heran. Als wir 5 Minuten später bei seinem Haus ankamen, stand er bereits vor der Tür und lud uns ein, einen Tee mit ihm zu trinken. Der alte Herr hatte ein steifes Bein und konnte nur mühsam am Stock gehen. Er geleitete uns in seine gute Stube, aus deren zwei kleinen Fenstern man einen herrlichem Blick über das ganze Dorf hatte. Offenbar hatte er den Tee bereits vorbereitet, während wir zu seinem Haus hinaufkletterten, denn er verschwand und tauchte gleich wieder mit einem Tablett auf, dass er in einer Hand balancierte, während er sich mit der Anderen schwer auf seinen Stock stützte. Es war uns unerklärlich, wie er in der Lage sein sollte, sein Haus auch nur einen Schritt zu verlassen. Die Tür, durch die wir hereingekommen waren, führte ebenerdig in seine Räume, die von der Talseite gesehen im 4. Stockwerk lagen. Offenbar wurde er von anderen Bewohnern mit allem versorgt, was er brauchte. Es war sehr schade, dass wir nur wenig Verständigungsmöglichkeiten hatten, denn er sprach offenbar nur einen Berberdialekt. Trotzdem hatten wir den Eindruck, dass er sich über unsere Gesellschaft freute, denn er erzählte viel und scherzte mit uns herum. Später, zurück am Auto,hatten wir das Gefühl, in einer völlig anderen Welt gewesen zu sein. Weit kamen wir an diesem Tag nicht mehr. Nach 9 Stunden hatten wir 86km zurückgelegt. Sowohl bergauf, als auch bergab mussten wir wegen der Steigung oder der kaputten Strasse oft im ersten Gang fahren, und schafften so nur einen Schnitt von 20-30km/h. Viele Gelegenheiten zum Übernachten gab es nicht, und so war es nicht erstaunlich, als an der ersten größeren ebenen Fläche neben der Strasse das Paar, mit dem wir schon die letzte Nacht den Platz geteilt hatten, auf uns wartete. Sie hatten bereits Wetten abgeschlossen, ob wir es heute noch bis hierher schaffen würden, als wir in der Dämmerung bei ihnen eintrafen.Der nächste Tag bescherte uns noch zwei weitere Pässe, die über 2000m hinaufführten, bevor die Landschaft lieblicher wurde und die Strasse uns sogar durch Wälder führte.In Imi-N-Ifri, auf 1600m Höhe konnten wir noch ein architektonisches Kunstwerk der Natur bestaunen, über das man leicht hinweg fahren könnte, ohne es zu bemerken. Ein Flüsschen hatte sich eine tiefe steile Schlucht in das poröse Gestein gegraben und, als es auf eine härtere Schicht gestoßen war, sich kurzerhand darunter durch einen Weg gesucht,um auf der anderen Seite in eine breitere Schlucht zu münden. So war ein riesiger natürlicher Torbogen entstanden. Die ausflugs- und picknick-begeisterten Marokkaner hatten natürlich auf beiden Seiten Treppen und Wege hinunter angelegt, sodass man theoretisch sogar hindurch klettern konnte. Merlin und ich schafften es auf einer Seite hinunter und wieder hinauf. Der Durchgang war mir mit Merlin etwas zu riskant. Carola hatte bereits auf halber Höhe aufgegeben. Die erste Stadt auf der Nordseite des Gebirges war Demnate, wo wir unsere Vorräte auffüllten, bevor wir unser nächstes Ziel ansteuerten: Die Wasserfälle von Ouzoud….(mehr Bilder zur Überquerung des Hohen Atlas in den Galerien)