Eigentlich war geplant in nordöstlicher Richtung, dem Verlauf der algerischen Genze folgend über Icht, Akka, Tata nach Foum-Zguid zu fahren, wo die Offroad- Spezialisten ihre Tour durch den trockenen Iriki-See und die Sanddünenfelder des Erg Chegaga nach Mhamid beginnen oder beenden, je nachdem aus welcher Richtung sie kommen.
Aufgrund eines Tipps, den wir unterwegs von anderen Deutschen bekommen hatten, beschlossen wir jedoch in Icht noch einmal nach Nordwesten abzubiegen und einen Abstecher zu den Agadiren Id Aissa und Aguelouy zu machen. Auch die Mittagstemperaturen von bis zu 38 Grad im Schatten trieben uns, in der Hoffnung auf etwas Erfrischung, aus der Wüste in die Berge hinauf.
Beide Agadire sind etwa 800 Jahre alt und wurden 2008 aufwendig restauriert. Sie liegen wie Adlerhorste hoch über der Schluchtoase von Amtoudi und dienten jeweils einem Stamm als Schutzburg und Vorratslager. Da wir die Mittagshitze auf einem französischen Nobelcamp bei Icht vertrödelt hatten, kamen wir erst kurz vor Sonnenuntergang am Eingang der Schlucht an. Hier endet die offizielle Strasse an einem einfachen Hotel/ Camp am Fuß eines steil aufragenden Felskegel auf dessen Spitze der Agadir Id Aissa thront.Wir beschlossen, für die Nacht hier zu bleiben und morgens vor Sonnenaufgang den steilen Aufstieg zu dem Agadir zu wagen, bevor die Sonne, die hier nicht weniger heiß vom Himmel strahlt, als unten in der Wüste, ihre volle Kraft entwickeln konnte. Sicherheitshalber fragte ich im Hotel nach, ob morgens so früh schon jemand oben am Agadir sei, damit wir nicht nach mühsamem Aufstieg vor verschlossenem Tor ständen. Der Verwalter beruhigte mich und meinte, der Wächter schlafe dort oben und können uns auch früh morgens einlassen.
Am nächsten Morgen um 7:30 Uhr marschierten wir los, versorgt mit Wasser für Merlin und uns. Etwa 45min dauerte der Aufstieg auf schmalen steilen Eselspfaden. Nur so, auf dem Rücken von Eseln, konnte früher alles heraufgebracht werden, was man nicht selbst tragen wollte. Oben angekommen kam gerade die Sonne über die Berge. Der Agadir ragte auf einem Felskegel noch einmal ca. 40m über dem Berggipfel auf. Durch ein Torhaus ging es in steilen gemauerten Stufen hinauf zum eigentlichen Eingang, der allerdings mit einer schweren Eisenkette und Vorhängeschloss gut gesichert war. Von einem Wächter war weit und breit nichts zu sehen. Auch auf mehrfaches heftiges Klopfen kam keine Reaktion. Offenbar war der Hotelverwalter nicht gut informiert und wir die Angeschmierten! So warteten wir noch eine Weile und genossen die wunderbare Aussicht. Von hier oben konnte man weit in die Schlucht hineinsehen. Den Weg konnten wir bis hinunter ins Dorf einsehen, und der lag nach wie vor verlassen da. Selbst wenn der Torwächter jetzt unten aufbrechen würde, bräuchte auch er mindestens 1/2 Stunde hier herauf. Da wir nicht in der prallen Mittagssonne den Abstieg machen wollten – deshalb waren wir ja so früh aufgebrochen – machten wir uns etwas frustriert an den Abstieg. Wir waren vielleicht die halbe Strecke hinunter gekommen, da sahen wir einen Mann aus dem Dorf kommen und den Aufstieg beginnen. Als er uns wenig später sah, gestikulierte er, offenbar um uns aufzufordern, auf ihn zu warten. Aber wir setzten unseren Abstieg fort und trafen ihn bald darauf. Er erklärte uns, dass er im Dorf bei seiner Familie schlafe und morgens gegen 9:00Uhr hinaufsteige, wenn niemand sich telefonisch früher angemeldet hat, eine Information, die dem Verwalter des einzigen Touristenanlaufpunkts am Fuß des Agadirs eigentlich bekannt sein müsste….
Wir versöhnten uns mit einem ausgiebigen Frühstück und beschlossen anschließend, soweit wie möglich mit dem Auto in die Schlucht hineinzufahren und von dort zu versuchen, die Gueltas genannten Felsbecken zu erreichen, die ganzjährig von mehreren Quellen mit Wasser versorgt werden. Über kleine Kanäle an den Wänden der Schlucht wird von hier die ganze Oase mit Wasser versorgt. Gestern hatten wir bei einem Abendspaziergang entdeckt, dass dies zumindest ein Stück weit möglich sein müsste, denn zwei kleine Ortschaften ziehen sich in teilweise abenteuerlicher Bauweise an den Schluchtwänden entlang und sind durch eine Geröllpiste verbunden. Der Grund der Schlucht ist beidseitig des trockenen Flussbettes dicht mit Palmen und Obstbäumen bedeckt, zwischen denen winzige Gärten liegen. Alles ist mit Mauern zu kleinen Terrassen geebnet, durch die sich die Kanäle ziehen. Als die Piste das zweite Mal den Fluss kreuzte, war der Weg für unser Auto zu Ende. Wir stellten es kurzerhand im Kies des Flußbetts ab, denn Parkflächen gab es hier nicht. Zu Fuß ging’s weiter, teilweise im Flussbett, teilweise unter Palmen entlang der Kanäle. Über uns auf einem überhängenden Teil der steilen Felswand trohnte der zweite Agadir. Mehrmals trafen wir marokkanische Familien, die sich hier irgendwo einen schattigen Picknickplatz gesucht hatten.
Langsam wurde die Schlucht enger und felsiger, und der Weg wurde mehr zur Kletterpartie. Zwischen den Felsen tauchten immer wieder Wasserbecken auf, die durch kleine Wasserfälle und Bachläufe miteinander verbunden waren. Jetzt sah das alles sehr idyllisch aus, aber die riesigen rundgeschliffenen Felsen, über die man kletterte, machten deutlich, mit welcher Wucht das Wasser hier, nach einem Regenfall irgendwo in den Bergen, hindurch strömen musste.Es war schon Nachmittag, als wir wieder an unserem Auto ankamen und nach einem kurzen Stopp an einem kleinen Lokal verließen wir die Schlucht von Amtoudi, um auf guter Straße die 70km zurück nach Icht zu fahren und den Abend in dem bereits bekannten Nobelcamp Borj Biramane bei französischer Gastronomie zu genießen.